Verleihung des Karl-Steinbauer-Zeichens 2020 an die Organisation Sea-Watch

Mit der Verleihung des Karl-Steinbauer-Fensters am 2. Juni 2020 an die Aktivistinnen und Aktivisten der Sea-Watch hat die Bayerische Pfarrbruderschaft – Theologische Weggemeinschaft von Frauen und Männern bewusst ein Zeichen der Hoffnung und Ermutigung gesetzt in einer Zeit, in der corona-bedingt die öffentliche Aufmerksamkeit nicht auf der Not und dem Elend der Flüchtenden liegt und auch nicht auf dem, was die zivilen Seenotretter*innen leisten. 

Von der Sea-Watch anwesend war Jesse Huppenbauer, Vorsitzender des Rechtshilfe-Fonds. Er hat das Karl-Steinbauer-Zeichen entgegengenommen stellvertretend für alle, die sich auf Seerettungsschiffen für Flüchtende einsetzen. Er las aus einem Schreiben des Bundesinnenministeriums den Satz vor: "Angesichts der aktuellen schwierigen Lage appellieren wir deshalb an Sie, derzeit keine Fahrten aufzunehmen und bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen." Notleidende Menschen werden unsichtbar gemacht; ihr Schreien nach Hilfe bewusst überhört. Jesse Huppenbauer erinnerte an namentlich bekannte Opfer dieser Blockadepolitik.
Seine ganze, aufrüttelnde Rede finden Sie im Video, das von der Verleihung gedreht wurde.

Unsere Laudatorin Pfarrerin Sandra-Marina Gassert aus Penzberg, wo Karl Steinbauer während der Nazizeit Pfarrer war, arbeitet zum einen dort als Gemeindepfarrerin, zum andern in einem Münchner Kinderhospiz. Zusätzlich begleitet sie Seenotretterinnen und Seenotretter verschiedener Organisationen vor und nach den Einsätzen als Seelsorgerin auf den Schiffen.
Ihre bewegende, warmherzige Laudatio, gestaltet als Brief an die Aktivistinnen und Aktivisten der Sea-Watch, können Sie zusätzlich zum Video weiter untern nachlesen.

Die Bilder geben einen kleinen Eindruck von der Verleihung

Laudatio von Pfarrerin Sandra-Marina Gassert, Penzberg,
anlässlich der Verleihung des Karl-Steinbauer-Zeichens am 2. Juni 2020 an Sea-Watch

Sehr geehrte Damen und Herren der Pfarrbruderschaft, liebe Gäste, lieber Herr Huppenbauer

wie spricht man über eine große Gruppe von Menschen, die es zu ehren gilt und die bis auf Sie, lieber Herr Huppenbauer, als Ihren Vertreter nicht hier sein können. Wie gelingt es, dass ich den Frauen und Männern von Sea Watch sage, was ich denke... und wie sehr ich Ihre Arbeit würdige...
Kurz: Ich schreibe einen Brief, den ich Ihnen, lieber Herr Huppenbauer dann mitgebe. 
Und mein Brief beginnt so.

Ihr Lieben,
liebe nautical, medical und technical crew, liebe Köche und Journalisten, liebe Fundraiser und Campaign Manager, liebe Aktivisten, was immer ihr tut...

Wenn Deutschland bunt ist, dann ist Sea Watch bunter. 

Oh ja, ihr seid bunt. Unterschiedlich eure Herkunft, eure Sprache, euer Alter, eure Bildung, Unterschiedlich eure Art des Lebens und Arbeitens, genauso wie eure Fähigkeiten und Begabungen. Und trotz aller Verschiedenheit findet ihr zusammen... in Sea Watch.

Als ich euch das erste Mal im Hafen von Valetta besuchen durfte, war ich sehr beeindruckt. Eine internationale Crew, junge und nicht mehr ganz so junge Leute aus der ganzen Welt, die sich zusammengefunden hatten, ohne sich zu kennen. Es wurde gemalert, geputzt und repariert, Vorräte eingekauft, Essenspläne entworfen und immer und immer wieder Rettungsabläufe unter sengender Sonne einstudiert.

Da steht der niederländische Sozialarbeiter neben der Kinderärztin, der Berliner Hausbesetzer neben dem westfälischen Handwerksmeister, dazu noch ein Journalist, ein Krankenpfleger, zwei Studenten, ein paar französische Handwerker und ein Lebenskünstler - und alle sind im gleichen Boot und ziehen -und das meine ich nicht nur im übertragenen Sinne- am gleichen Strang. Das ist außergewöhnlich. Ein Bild, wie Gesellschaft (und in meinem Fall auch Kirche) sein sollte. Ein Ort, der Menschen mit dem gleichen Ziel verbindet und für alle Raum hat. Obwohl dass mit dem Raum tatsächlich eher im übertragenen Sinne zu verstehen ist, wenn ich an die Größe eurer Schlafplätze zurück denke.

Ich habe mich oft gefragt, wie das funktionieren kann... so verschiedene Menschen zusammengewürfelt. Es funktioniert. Denn ihr habt etwas, das euch verbindet: das Verstehen. Ihr habt verstanden, wie privilegiert wir hier leben und welch unverdientes Glück das ist. Ihr versteht auch die Motive und Träume derjenigen, die sich in Lebensgefahr begeben, um Europa zu erreichen. Für euch sind die Männer, Frauen und Kinder auf den im Mittelmeer dümpelnden Nussschalen keine Statistiken oder eine distanzierte Nachricht, sondern es sind Menschen mit Namen und Geschichten. Mit Ängsten und Träumen. Ihr seht sie, wie sie sind. Menschlich.
Wie ihr selbst es seid und ich auch. Genauso wertvoll, liebenswert, eigensinnig, zerbrechlich-
Das macht eure Arbeit nicht leichter. Gewiss nicht.

Denn hier in Sicherheit und weit weg vom Einsatzgebiet zu stehen und über eine abstrakte Notwendigkeit der Menschenrettung oder auch die Schließung der Grenzen zu referieren, das ist leicht. Wer aber gesehen hat, wie jemand untergeht, wer in der Nacht die fiebrige Hand einer Frau gehalten hat, der Unaussprechliches angetan wurde, der wird vielleicht um Worte ringen.

Das, was ihr auf euren Missionen seht und erlebt, verändert euch für immer. Ob ihr wollt oder nicht. Ganz unabhängig von eurer politischen oder gesellschaftlichen Ausrichtung. Unabhängig davon, was neben dem Verstehen und der Menschlichkeit euer Antrieb war. Wer Abenteuer und Gemeinschaft gesucht hat, hat gefunden was er suchte, aber eben noch mehr.

Es sind zum einen die guten Erlebnisse, die euch prägen. Das Zusammenarbeiten im Sturm. Ein gelungenes Rettungsmanöver, wenn man ein Baby aus einem sinkenden Boot auf das sichere Schiff bringen kann. Die Dankbarkeit und die Freude derer, die man gefunden hat
aber da ist eben auch das Andere...
die absolute Trostlosigkeit, wenn man zu spät gekommen ist und nur noch ein Foto machen kann, um den Angehörigen irgendwo auf der Welt Gewissheit zu geben. Die verzweifelte Angst der Menschen, wenn am Horizont die lybische Küstenwache auftaucht und der Schmerz der Menschen, die ihr mit ihren Corosive Burns in Sicherheit geleitet, wo immer das sein mag. Denn auch das Loslassen der Geretteten in einer so ungewissen Zukunft in den Lagern Südeuropas, ist schwer.

Ich weiß, dass einige von euch mit Kirche als Institution nicht viel anfangen könnt. Das müsst ihr auch nicht. Aber wenn es Personen gibt, die verstehen, was in euch vorgeht, was euch antreibt und wie ihr lebt, dann hätte Karl Steinbauer sicher auch dazu gehört.

Sein Leben referiere ich Euch hier nicht, aber es würde sich absolut lohnen, das nachzulesen. Nur kurz: ich arbeite in der Gemeinde, in der Karl Steinbauer während der Nazi Zeit arbeitete. Und höre oft: als er aus dem Gefängnis, später dann aus dem Krieg zurück kam, war er verändert.

Er hätte es gut verstanden, was ihr ihm erzählen könntet. Er hätte auch verstanden, wenn ihr das Gefühl hättet, nicht mehr in euer altes Leben zu passen, wenn ihr eine Mission zu Ende gebracht habt. Karl Steinbauer war ein Mann, der das tat, was er für richtig hielt. So wie ihr. Er fand Unterstützung und Ablehnung vor. So wie ihr. Und folgte seinem Gewissen. So wie ihr.

Auch wenn Steinbauer von Gott sprach und ihr nicht, habt ihr doch mehr gemeinsam, als ihr denkt. Man kann auch ohne Worte von Gott sprechen, von Humanität und Nächstenliebe. Ihr sprecht laut und deutlich. Ich spreche zu uns davon, dass wir nicht um ein Friedensreich beten können und uns Christen nennen, wenn uns das Leid unserer Geschwister an Europas Grenzen kalt lässt.
Danke, dafür. Es braucht Menschen wie euch. Menschen, die auch mal zum Stachel in der Gesellschaft werden.

Es wird immer Leute geben, die das anders sehen, oder euch anfeinden. Manche offen, manche subtil. Auf dem Rückflug nach einer meiner Besuche, fragte mich die nette, runde Touristin im Sitz neben mir, in welchem Hotel ich gewesen wäre. Als ich ihr erzählte, wo ich war... rückte sie so weit weg wie möglich und starrte nur noch mit gerunzelter Stirn in die andere Richtung. Ich fand das amüsant. Ihr vielleicht nicht immer. Aber wenn ihr so etwas erlebt, erinnert euch bitte daran: ihr habt den meisten Leuten etwas voraus. Verständnis und Erfahrung. Seid nachsichtig.

Und vergesst nicht: ihr werdet von ganz vielen Menschen unterstützt. Das zeigt ja auch diese Preisverleihung hier. Ihr werdet unterstützt von euren Familien, Freunden und Partnern, die euch ziehen lassen, damit ihr diese Welt verbessern könnt. Ihr findet Verständnis bei den anderen Aktivisten, über die Grenzen von Sea Watch hinaus, und zuletzt findet ihr auch ein offenes Ohr bei uns Seelsorgern und Supervisoren aus Notfallseelsorge und der Bundesvereinigung SbE, die euch rund um eure Missionen begleiten.

Karl Steinbauer übrigens wurde von seiner Gemeinde im Gefängnis derart unterstützt, dass sie sich abwechselten mit dem Radl in die Kreisstadt zu fahren und unter seinem Fenster zu singen. Was Anwohner und Wärter nicht ganz so... aber ich schweife ab.
Wir singen nicht für euch (außer ihr wünscht es euch), aber wir sind stolz und froh, euch begleiten zu dürfen.

Denn wer einmal die Not, die Hoffnung und auch die Verzweiflung auf dem Mittelmeer gesehen hat, den lässt das nicht mehr los. Der kann nicht aufhören sich dafür zu engagieren, dass keiner und keine zurück gelassen wird. Dass man Menschen auf keinen Fall ertrinken lässt. Wo das zugelassen wird, da steht die Menschlichkeit Europas vor dem Aus. Aber ihr lasst das gemeinsam mit vielen anderen engagierten Menschen nicht zu. Danke.

 Eure Sandra Gassert